Cios
Cios
★ Punk rock aus der Ukraine ★
Cios (ausgesprochen "Tschoss", der Name kommt vom polnischen Wort für "Schlag") ist eine ukrainische Punkband, die 2011 in der kleinen Stadt Chmelnyzkyj gegründet wurde. Sie spielen hauptsächlich Streetpunk und ihre Musik ist bekannt für authentische, oft politische Texte, die das alltägliche Leben und die Probleme der Realität widerspiegeln.
Interview mit der ukrainischen punk Band Cios
1. Seit dem groß angelegt Einmarsch Russlands in die Ukraine vor drei Jahren (Februar '22) gehören Bombardierungen, Luftalarm, Drohnenangriffe, ständige Stromausfälle usw. zum Alltag. In dieser Hölle unter diesen Bedingungen ein Album zu produzieren, klingt mehr als schwierig. Was waren die größten Hindernisse bei der Entstehung von „Caveman Traditions“ und wie habt ihr sie überwunden?
Punkrat: Ja, genau das haben wir bei den Aufnahmen des Vorgängeralbums krass gespürt [Album: "24.02.22"; nur Streaming/Download seit Sommer 2023 - Anm. d. Red.] - wir haben nämlich im Herbst und Winter aufgenommen. Russland neigt dazu, die Energieinfrastruktur in den kälteren Monaten stärker anzugreifen, um maximalen Schaden anzurichten. Damals gab es Raketenangriffe in der Nähe unseres Proberaums und Studios – Fenster und Wände wurden zerfetzt, Stromausfälle dauerten manchmal wochenlang, Benzingeneratoren rumpelten ständig und ruinierten den Sound. Wir brauchten viel Geduld und mussten viel improvisieren, um fertig zu werden.
Aber dieses Mal lief alles relativ reibungslos. Wir haben "Caveman Traditions" im Sommer und Herbst aufgenommen. Dima, unser Bassist, der normalerweise in einer anderen Stadt lebt, war zufällig für eine längere Geschäftsreise in Chmelnyzkyj. Wir hatten alles, was wir zum Aufnehmen brauchten, bereits im Studio, es gab kaum noch Glasfenster, die hätten zertrümmert werden können, und wir hatten auch unsere Erfahrungen mit der Situation gesammelt. Diesmal konnten wir es recht gemütlich durchziehen.
Dima: Manchmal führte die Abriegelung der Stadt durch das Militär, um Leute zu rekrutieren, zu Problemen. Im Sommer 2024 wendete man in Chmelnyzkyj einige wirklich „kreative“ Taktiken an – ganze Stadtviertel wurden stundenlang abgeriegelt.
2. Gab es jemals einen Punkt, an dem ihr überlegt habt, dass ganze Projekt zu pausieren oder ganz abzublasen? Woher habt ihr die Kraft gehabt, weiterzumachen?
P.: Wir hatten unsere Momente des Zweifelns. Manchmal haben wir dann aus purer Sturheit weitergemacht und manchmal, weil es uns wie eine unnötige Lebenszeitverschwendung vorkam, das Ding jetzt abzubrechen, nachdem wir bereits so viel Zeit investiert hatten. Im Laufe der Zei thaben wir Erfahrungen gesammelt und konnten uns Equipment zusammen sammeln, welches in Kriegszeiten praktisch nicht verkauft wird. Wir entwickelten eine Art Routine: Wann immer wir etwas Freizeit erübrigen konnten, trafen wir uns zum Proben, Komponieren oder Aufnehmen. Unter diesen Bedingungen ist es unmöglich, seine Kreativität auszuleben - aber das zu ändern, steht nicht in unserer Macht.
Vlad: Ja, ich habe betrunken öfter mit Punkrat darüber gesprochen, die Flinte ins Korn zu werfen, aber daraus ist nie etwas geworden.
D.: Ich persönlich habe nie auch nur daran gedacht, aufzuhören.
3. Seid ihr wehrpflichtig und werdet von den ukrainischen Feldjägern gesucht? Ist das gefährlich? Habt ihr ein schlechtes Gewissen, weil ihr nicht kämpft? Sollten wir diese Fragen besser nicht öffentlich machen?
P.: Nee, so läuft das nicht in der Ukraine. Die ganze Sache von wegen "bewerbt euch als Soldat" läuft schief. Das übliche Szenario ist dabei folgendes: Ein Transporter hält am Straßenrand, drei Typen in Militärmontur und ein Bullenschwein steigen aus, umzingeln willkürlich jemanden, und wenn ihnen deine Papiere nicht passen, schnappen sie dich einfach, bringen dich zur Polizeiwache, legen 'ne Militärakte an, erstellen ein medizinisches Gutachten und schwupps, ehe du dich versiehst, bist du Soldat.
Die Vorschriften für die Papiere sind dabei sehr vage gehalten, außerdem ändern sie sich ständig und werden bei solchen Kontrollen oft auch ignoriert.
Wenn du nicht ausreichend Kohle hast, um gute Papiere zu besorgen oder Bestechungsgelder zu zahlen, bist du nirgendwo sicher. Manche melden sich nur freiwillig zum Dienst, um in einer besseren Einheit zu landen, anstatt in einem Transporter verschleppt zu werden und zufällig in irgendeine Einheit gesteckt zu werden.
Schlechtes Gewissen? Schlechtes Gewissen gibt es eigentlich nur, wenn man eine persönliche Entscheidung trifft. Aber wenn die Mobilisierung zu 100 % erzwungen ist und der einzige Weg, nicht eingezogen zu werden, entweder eine ernsthafte Behinderung oder der Tod darstellt, dann hat das nichts mehr mit irgendeinem persönlichen schlechten Gewissen zu tun.
4. Seid ihr oft im Proberaum?
P.: Es ist schwierig, alle so oft zusammenzubringen, wie wir möchten. Es klappt nur ab und zu.
D.: Unser Proberaum ist echt großartig. Wenn nur alle Bandmitglieder tatsächlich in Chmelnyzkyj wohnen würden, wäre es perfekt.
5. Wie seid ihr auf den Namen des Albums und den verwendeten Grafikstil gekommen?
D.: Der Name ist eine Textzeile aus einem Song. Das Cover stammt von Punkrat. Es spiegelt seine eigene ästhetische Vision wider, wie das Album klingen soll – nämlich wie in den guten alten Zeiten des Rock’n’Roll.
V.: Außerdem sieht's cool aus.
P.: Nun, dass wir in diesem Sommer bei archäologischen Ausgrabungen waren, hat das Cover ebenfalls beeinflusst, nehme ich an. Es hat sich so angefühlt, als wäre das indirekt mit dem Konzept des Albums verbunden.
6. Wurdet ihr von eurem Umfeld, eurer Szene oder auch eurer Familie in dieser Zeit unterstützt? Oder habt ihr euch im Stich gelassen gefühlt?
D.: Wir spüren die Unterstützung aller, die Cios hören und mit „schönen, ruhigen Worten“ über die Band sprechen [offenbar eine Anspielung auf das bekannte ukrainische Gedicht „Testament“ von T. Schewtschenko – Anm. d. Red.] – das bedeutet uns sehr viel.
V.: Die beste Unterstützung sind Familie und Freunde.
P.: Es ist gerade nicht die beste Zeit, was externe Unterstützung angeht, aber für uns in der Band geht es vor allem darum, uns auszudrücken. Wir verlangen nichts – weder Unterstützung noch Liebe.
7. Welche Botschaft, hofft ihr, nehmen die Leute von eurem Album mit? Vor allem die, die weit weg von jedweder Kriegsrealität leben?
D.: Barbarei kann jeden treffen. Dein netter Nachbar könnte sich als Spitzel entpuppen, und all die gut gekleideten Trendsetter könnten sich als totale Trottel entpuppen. Gib nicht auf, vergiss deine Prinzipien nicht und bleib immer standhaft.
V.: Wir hoffen, dass jeder etwas Persönliches auf dem Album findet – vielleicht erkennt er sich sogar in einem der Songs wieder.
P.: Der Krieg ist nicht so weit weg, wie ihr vielleicht glaubt. Vorbereitet zu sein, ist nie verkehrt. Wenn dieses Album jemanden dazu bringt, innezuhalten und über diese Realität nachzudenken, würde ich mich freuen.
30.06.2025
Interview with the Ukrainian punk band Cios
1. Over three years since russia’s full-scale invasion of Ukraine (February ’22), missile threats, bombarding of Ukrainian cities, constant blackouts, air raid alarms, etc. being part of daily life. Recording an album for a band in this hell sounds incredibly difficult. What were some of the biggest obstacles you faced during creating “Caveman Traditions”, and how did you manage to push through them?
Punkrat: Yes, we really experienced all that firsthand while making our previous album [digital album “24.02.22” released in summer 2023 - Ed.]. We were recording it in autumn and winter. Russia tends to hit the energy infrastructure more aggressively during the colder months to cause maximum damage. Back then, near the area where rehearsal room and studio are located, there were missile strikes – windows and walls were blown out, blackouts sometimes lasted for weeks, petrol generators were constantly rumbling and ruining the sound. We had to put things off a lot and improvise to get through.
But this time things went relatively smoothly. We recorded Caveman Traditions in summer and autumn. Dima, our bass player, who usually lives in another town, accidentally ended up in Khmelnytskyi on a long business trip. We managed to fully kit out our studio with all the necessary recording equipment. There were almost no glass windows left to be shattered, and we had built up some experience, too. So this time we pulled it off fairly calmly.
Dima: Sometimes the blockade of the city by military recruiters caused problems. In summer 2024, in Khmelnytskyi were used “creative” tactics – they just blocked off entire neighbourhoods for hours.
2. Was there ever a point when you thought about putting the project on hold or giving up entirely? What gave you the strength to keep going?
P.: There were moments of reflection. Sometimes it was just sheer stubbornness – a refusal to give up. Sometimes it felt like a waste to ditch something we had already put so much into. Over time, we gained some experience, acquired recording equipment that’s basically impossible to get during wartime, and things kind of settled into a routine. So whenever we had a bit of free time, we could get together to play, write, or record. There’s no way to be extremely creative right now, but that’s just the way it is – it’s out of our hands.
Vlad.: Yeah, there were drunken talks with Punkrat about throwing in the towel, but nothing ever came of it.
D.: I personally never had any thoughts of quitting.
3. Are you wanted as soldiers in the UA army and hiding from the UA administration? Is it dangerous? Do you have a bad conscience because you don't fight? Shall we better not publish this question?
P.: It doesn’t quite work that way in Ukraine now. The whole “wanted as soldiers” thing is going wrong. The usual scenario is this: a van pulls up on the street, three blokes in military gear and one police pig get out, surround someone, and if they don’t like your papers, they just grab you, take you to the police station, whip up a military file and medical results on the spot. The next thing you know, you’re in the army.
The rules for documents are super vague, constantly changing, and often ignored altogether.
Unless you have a big chunk of cash to either get the proper documents or give a bribe, no one’s really safe. Some people volunteer just to end up in a better unit rather than being forcibly moved to a random one in a van.
Bad conscience? Bad conscience only really applies when you make a personal choice. But when mobilisation is 100% forced and the only way out is either serious injury or death, it ceases to be about personal conscience.
4. Do you manage to practise together?
P.: Yes, but it’s tough to get everyone together as often as we’d like. Nevertheless, it does happen now and then.
D.: We have a great rehearsal base. If only all band members actually lived in Khmelnytskyi, it’d be perfect.
5. How did you come up with the album name and art?
D.: The name came from one of the lines in the lyrics. The cover was made by Punkrat. It’s his own aesthetic vision of how the album sounds, like the good old days of rock’n’roll.
V.: At the very least, it looks cool.
P.: Well, I guess the fact that we visited some archaeological excavations that summer also influenced the cover. It felt somehow indirectly connected to the album’s concept.
6. What kind of support (or lack of it) did you get from your local community, music scene, or even family during this time?
D.: We feel supported by everyone who listens to Cios and speaks about the band with “nice quiet word” [apparently a referral to well-known Ukrainian poem "Testament" by T. Shevchenko- Ed.] – that means a lot.
V.: The best support is family and friends.
P.: It’s not the best time right now in terms of outside support, but for us, the band is mostly about having a way to express ourselves. We’re not asking for anything – neither support, nor love.
7. What message do you hope listeners take away from this album, especially those far from the realities of war?
D.: Barbarism can show up at anyone’s doorstep. Your nice neighbour might turn out to be a snitch, and all those well-dressed trendsetters might end up being total chumps. Don’t give in, don’t forget your principles, and always stand your ground.
V.: We hope everyone finds something personal in the album – maybe even see themselves in one of the songs.
P.: War might not be as far away as you think. Being prepared is never a bad idea. If this album makes someone stop and think about this reality, I’d be glad.
30.06.2025